Verrückt

Ich bin verrückt, und seit einigen Wochen so richtig müde und erschöpft!
Immer mehr hab ich das Gefühl, dass mein Wesen, meine Art zu Sein und zu Denken hier im Moment, in diesen gesellschaftlichen Strukturen, wie sie sich gerade weltweit grösstenteils zeigen, keinen Platz mehr hat.
Als Kind und Jugendlicher war ich brav, unauffällig und angepasst. Insgeheim bewunderte ich immer die Aufmümpfigen, hatte ich doch selber meist nicht den Mut, mich gegen Dinge zu wehren, die mich störten. Ich fühlte mich zu den Aussenseitern und den Verschrobenen hingezogen. Um nicht aufzufallen, näherte ich mich diesen Wesen nur sporadisch an. Ich ging Konflikten meist aus dem Weg und schummelte mich mit guten Noten durch die Schulzeit und Studium. Dennoch produzierte ich unbewusst genügend Situationen, bei denen ich innerlich explodierte. Das Normale und gesellschaftlich Akzeptierte kam mir damals schon oft eigenartig vor. Es stimmte für mich nicht, mich da mit Gewalt reinzupressen und dennoch tat ich es. Immer wieder probierte ich zu funktionieren und immer wieder erzeugte das Chaos und Stress in mir und immer mehr auch um mich herum. Ich fühlte mich getrieben, rastlos, ruhelos und erlebte mit 25 einen totalen körperlichen und psychischen Zusammenbruch.
Von da an war ich wie gezwungen etwas zu ändern. Ich näherte mich immer mehr meiner eigenen Verrücktheit an, lernte immer mehr ihr nicht davonzurennen, sondern sie immer tiefer zu erforschen und meinem inneren Weg und Ausrichtung zu folgen. Ich suchte auch die Nähe anderer Verrückter Wesen, um von ihnen zu lernen. Das brachte mir nach vielen Jahren des inneren und äusseren Reisens wesentlich mehr Ruhe, Stabilität, Ausrichtung Frieden und Liebe zu mir selbst und in meinem Umfeld. Es dauerte fast 40 Jahre bis ich mich so richtig wohl in mir fühlen konnte, auch mit all den körperlichen Einschränkungen, die mein Weg bis dahin mit sich getragen hatte.
Es hat sich irgendwie ein Traum erfüllt für den ich jeden Tag unendlich Dankbar bin. Ich bin in Verbindung mit mir gekommen und konnte etliche Mauern um meinem Herzen sprengen. Es fühlt sich an wie in die geborgene Wärme nach Hause zu kommen. Gemeinsam mit einer wunderbaren Frau teilen wir eine Beziehung, in der ich mich nicht eingeengt fühle und so Sein kann, wie ich wirklich bin. Wir dürfen insgesamt 3 Kinder begleiten, die sich an unserer freien Schule ohne Druck intrinsisch entfalten dürfen. Wir haben genug Platz, leben in einem Mehrgenerationenhaus mit Garten und Wasser, frischer Luft und genug zu essen. In meiner Arbeit, die ich mittlerweile zur Gänze selbständig ausführe, begleite ich Menschen auf unterschiedliche Art und Weise und erlebe diese Begegnungen als sehr berreichernd. In unserem Freundeskreis sind wir umgeben von vielen lieben Menschen, die miteinander wachsen, sich stärken und nähren. Eine Kooperation von lauter Verrückten, die in irgendeiner Weise einen ähnlichen Weg gegangen sind…. Warum auch immer.
Wenn ich mich also in meiner Blase und meinem verrückten Traum bewege, dann fühlt es sich richtig an. In meiner verträumten Blase ist die Welt und die Gesellschaft ein schöner Ort, an dem ich gerne und in Freude lebe. Lange bin ich gelaufen und gerannt, um dort anzukommen. Ich musste erst verrückt werden, um jetzt festzustellen dass sich dieser Traum und diese Illusionen schnell wieder in den nächsten Alptraum und die nächste Illusion verwandeln können bzw all diese gleichzeitig sind.
Ich bin müde, so richtig müde und der Abschiedsbrief meines Vaters, der sich ungefähr in meinem Alter das Leben nahm, taucht immer wieder in meinem Kopf auf. Er fühlte sich nicht mehr zugehörig zu der Gesellschaft, wie sie war. Und ich kann ihn verstehen, denn die Gesellschaft war vor 25 Jahren auch nicht anders als jetzt. Nur erleben wir gerade eine Zuspitzung des Offensichtlichen. Sperrt die anders denkenden weg, verwährt ihnen jeglichen Zugang, zensiert sie bis sie brechen. Für Verrückte ist da kaum ein Platz. Verrückten wird es so schwer gemacht, dass sie erkranken, bevor sie überhaupt merken, dass sie verrückt sind. Es gibt ja genug Pillen dagegen und auch genug Diagnosen. Und die, die es merken, werden noch stärker unter Druck gesetzt.
Mein Wesen betrachte ich als Zelle eines grossen Ganzen, eine kleine Zelle des Gesamtorganismus. Ich als kleine Zelle habe eine Minifunktion und der Organismus lebt definitiv auch ohne mich weiter. Anscheinend beschliesst gerade irgendein übergeordnetes Prinzip, dass solche verrückten Wesenszellen eine Gefahr darstellen, für die Überlebensfähigkeit des Gesamtorganismus. Natürlich sehe ich das aus meiner Einzelzellsicht anders, bilde ich doch auch ein Organ mit anderen Verrückten Zellen. Ein Organ herauszuschneiden ist auf lange Sicht nicht sehr sinnvoll und Verrückte Zellen umzuprogrammieren….. hmmm auch sehr schwer, denn die Zellen, die noch leben, haben sich meist aus der Fremdprogrammierung herausgelöst. Sonst wären sie ja nicht verrückt.
Ich als kleine Zelle kann das jedoch nicht wirklich beurteilen, beeinflussen oder ändern. Wenn es so ist, dass es die verrückten Zellen nicht mehr braucht, dann gehe ich in Frieden und in Liebe. Solange ich jedoch noch meine mir anvertraute Funktion erfüllen darf, lebe ich in Frieden und in Liebe. Nur der Zeitpunkt des Übergangs ist dann halt ein anderer.
Ich hab jedenfalls trotz Müdigkeit und Erschöpfung noch vor ein wenig zu leuchten in dem Organ der Verrückten

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