Umarmung

Ich bin weiterhin am Üben, mich dem was ist voll hinzugeben, auch und gerade mit den Dingen, die ich scheinbar nicht verstehe (das ist und war schon immer sehr viel), scheinbar nicht weiss (das ist und war wohl noch mehr), scheinbar nicht nachvollziehen kann, scheinbar beurteile, scheinbar verurteile, mich scheinbar einschränken,... 

Im Üben putze ich die Oberfläche des Scheins und wandle ganz langsam mehr ins Sein. 

In der Oberfläche erfahre ich gestern von physioswiss, dass selbständige Physiotherapeuten weiterhin von den Unterstützungsmassnahmen ausgeschlossen sind (50 Prozent der Praxen droht so laut einer Umfrage der Konkurs) und dass ich unter Androhung einer Busse, meinen Sohn im Grenzort zu Deutschland weiterhin nicht besuchen kann und das wahrscheinlich auch noch länger so bleiben wird. 

In der Natur, aber auch in der Physiotherapie-Praxis, zu Hause (in meinem Herzen) erfahre ich immer mehr Ruhe, Liebe und Frieden mit allem was ist, werde zum neugierigen Beobachter von dem was sich zeigt und in dieser Liebe empfinde ich immer mehr Freude an den kleinen Dingen des Seins. 

So freue ich mich meinen 5 jährigen Sohn Milan zu hören, auch wenn das weiterhin und auf unbestimmte Zeit nur über Videocall möglich ist. Ich freue mich die Sonne zu spüren und mit den wunderbaren Menschen, die mich umgeben zusammen sein zu dürfen. Milan und Ich können es jedenfalls nicht verstehen, dass wir uns nicht sehen, geschweige denn umarmen dürfen. Das ruft in mir eine alte tiefe Erinnerung hervor: nämlich, wie wichtig Umarmungen für mich sind und wie lange ich grosse Schwierigkeiten mit Berührung hatte. Ich konnte sie nicht zulassen, habe mich geniert, mich unwohl dabei gefühlt, mein ganzer Körper hat sich angespannt und zurückgezogen. Es war mir furchtbar peinlich. Erst im Laufe der Zeit erlebte ich Berührung als so heilsam und so wichtig für mich und es kommen mir die Tränen der Rührung, der Trauer, Der Wut und der Freude zugleich, wenn ich in die grosse Umarmung mit allem was ist gehe. Ich wusste nie und weiss es auch heute nicht, wann ist die LETZTE Umarmung. Ich erinnerte mich an den letzten Moment, als ich meinen Vater am Tag vor seinem schnellen Tod komplett lebendig sah und plötzlich den Drang verspürte ihn umarmen zu wollen. Meine Scham, die Gewohnheit und irgendeine Angst hinderte mich daran, meiner Intuition zu folgen. Dieses Versäumnis der Umarmung hing in mir danach so fest, dass noch viele Jahre vergingen, bis ich wieder jemanden wirklich tief umarmen konnte und die heilsamen Schwingungen darin verspürte.

Wir wissen nie, wann die letzte Umarmung ist, wir wissen nie wann wir unsere Liebsten das letzte Mal sehen, wir wissen nie wann wir unsere Schritte das letzte Mal machen. Können wir irgendetwas wissen, irgendetwas kontrollieren? Immer mehr komme ich zu der Erkenntnis dass es so wichtig ist, den Tod zu umarmen, ihn zu akzeptieren, sein Freund zu werden. Nicht nur den physischen Tod, sondern auch jene vielen Tode, die ich immer wieder sterben darf, um ein bisschen mehr loszulassen von all dem Schein, der mir als so gewohnt erscheint.

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